Herr Bachmann und seine Klasse

Start des preisgekrönten Films in Marburg.

Das GEW-Interview mit Herrn Bachmann.

Herr Bachmann und seine Klasse

Bei den 71. Internationalen Filmfestspielen in Berlin, der Berlinale 2021, erhielt der Dokumentarfilm „Herr Bachmann und seine Klasse“ einen Silbernen Bären als Auszeichnung.

Der Stadtallendorfer Lehrer und GEW-Kollege Dieter Bachmann wurde im Jahr 2017 von der Regisseurin Maria Speth ein halbes Jahr lang im Unterricht der Klasse 6b der Georg-Büchner-Gesamtschule begleitet. Daraus entstand ein mehr als drei Stunden langer Dokumentarfilm, der bei der diesjährigen Berlinale gezeigt wurde.

In 217 Minuten entsteht das Bild einer Klasse, deren Kinder aus mehr als zehn Nationen kommen, mit unterschiedlichsten Erfahrungen und Lebenswegen und das des Lehrers Bachmann, der seine Aufgabe darin sieht, ihnen ein zweites Zuhause zu geben, sie zu einer Gemeinschaft zu machen und ihnen zu zeigen, wie wichtig Solidarität und Zusammenhalt sind.

Seit dem 16.09.2021 ist der Film in den Kinos gestartet.

Am 11.03.2021 trafen sich die Vertreter des Kreisvorstandes der GEW Marburg-Biedenkopf Uwe Lange und Timo Steinert zu einem Gespräch mit Dieter Bachmann über den Film, Schule und seine Arbeit als Lehrer, das hier in Auszügen wiedergegeben ist.

 

GEW: Dieter, was meinst Du ist der Grund für den großen Erfolg dieses Films bei der Jury und den Medien, „Die Zeit“ zum Beispiel spricht von einem „Hauch von Utopie“.

Dieter Bachmann: Das hat mit Schule gar nicht viel zu tun, das hat auch mit Herrn Bachmann nicht viel zu tun. Der Film ist mit sehr modernen Mitteln gemacht. Die Zusammenstellung der Ausschnitte von Maria Speth aus mehreren hundert Stunden Filmmaterial ist sehr gut komponiert. Sie hat aus dem Material eine Liebeserklärung an diese Kinder gemacht. Der Kameramann Reinhold Vorschneider gehört zu den renommiertesten in der Bundesrepublik. In seinen Aufnahmen sind die Kinder immer auf Augenhöhe. Mit Montagetechnik, Tontechnik und Kameraführung fällst Du so in die Bilder rein.

GEW: Neben den technischen und gestalterischen Gründen, die Du hier nennst, muss es doch aber auch etwas mit dem Inhalt zu tun haben? Schule ist ja eigentlich kein so interessantes Thema. Was ist Schule für Dich?

Dieter Bachmann: Dass Schule momentan so interessant ist, hat natürlich auch etwas mit dem Zeitpunkt zu tun. Es gibt Leute, die geben zur Zeit Liebeserklärungen an die Schule ab und das liegt nicht daran, dass sie Mathe vermissen, sondern weil ihnen dieser Ort sozialer Begegnung fehlt, dieser analoge Ort. In dieser Situation ist der Film erschienen. Und da kommt ein Lehrer, da kommt eine Klasse, die ein bisschen ungewöhnlich etwas gemacht haben, nämlich ein bisschen Wärme, ein bisschen Leben in die ganze Sache gebracht haben. Durch Corona hat Schule ein anderes Image bekommen und ich hab da was verwirklicht, wovon die Leute gerade träumen.

GEW: Wie, schätzt Du ein, hat der Film die Kinder verändert?

Dieter Bachmann: Ich hatte in der Klasse Kinder aus zwölf Nationen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und Erfahrungen. Und dann kam das Besondere, das ganze Filmteam wurde Teil der Klasse. So Leute hatten die Kinder noch nicht kennengelernt, Künstler und ganz erfolgreich. Sie haben die Kinder geliebt und die Kinder sie. Und deswegen, das ist vielleicht auch ein Grund dafür, ist der Film auch so natürlich. Es soll noch ein Nachfilm gedreht werden, jetzt, vier Jahre später.

GEW: Wie würdest Du Dich als Lehrer sehen?

Dieter Bachmann: Am Anfang, nach dem Studium, hatte ich noch viele Illusionen. Ich habe meine Lehrerrolle nicht gefunden. Wir hatten die Ideen der Studentenbewegung im Kopf. Wir sind gegen die Autoritäten angerannt und haben es einfach umgedreht. Als ich dann nach meiner Ausbildung als Steinmetz, für die ich den Schuldienst wieder verlassen habe, erneut anfing, hatte ich eine Ahnung wie es geht.

GEW: Wo kam die Ahnung her?

Dieter Bachmann: Ich bin auf der Straße aufgewachsen, bin keinem Konflikt aus dem Weg gegangen und genau das habe ich dann in der Schule auch gemacht. Das war aber nicht leicht, fünf, sechs Jahre lang, da hatte ich nur einen Angestelltenvertrag, hatte ich das Gefühl, ich fliege raus. Letztendlich war es auch für mich die Frage, wie kann ich in die Schule gehen und meine Identität behalten.

Ich bin Gymnasiallehrer für Sport, Politik und Deutsch und habe auch für Mathe noch ein Referendariat für Haupt- und Realschule gemacht. Das war mir wichtig, so konnte ich sehr viele Stunden in einer Gruppe unterrichten.

GEW: Ist das wichtig, Identität?

Dieter Bachmann: Das Allerwichtigste, auch für die Schüler. Authentisch sein heißt auch, dass du dich immer wieder neuen Situationen aussetzt, zur Not scheiterst du mal.

Warum es mir im Wesentlichen geht, was man auch bei Corona lernt, Schule ist ein Lebensraum, der nicht nur Wissen vermittelt, sondern der soziale Begegnung möglich macht und wir als Lehrer haben die Aufgabe das ernst zu nehmen und den Kindern Essen zu geben und Bewegung zu geben und die Möglichkeit zu malen und Kreativität zu ermöglichen, auch Freiräume zu ermöglichen. Das ist das Zentrale des Films.

GEW: Dieter, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Timo Steinert
GEW Kreisverband Marburg-Biedenkopf