Ausbilden statt abschieben!

Jetzt geht es um Sidat S. aus Stadtallendorf!

Sidat musste am Freitag, dem 16. Mai bei der Ausländerbehörde in Stadtallendorf vorsprechen.
Es ging um die Verlängerung seiner Duldung. Das hat auch funktioniert, aber mit einer
fatalen Einschränkung: seine Arbeitserlaubnis wurde nicht verlängert. Er soll gefälligst
innerhalb weniger Wochen freiwillig aus Deutschland ausreisen. Andernfalls wird er abgeschoben.


Wer ist Sidat und wie sieht seine Zukunft aus?
Den Hauptschulabschluss hat Sidat schon. Er war Klassenbester. Im Sommer schließt er die zweijährige Berufsfachschule an der Käthe-Kollwitz-Schule in Marburg ab. Eigentlich
weiß er auch, wie es danach weitergeht. Die Zusage für einen Ausbildungsplatz zum Medizinischen
Technologen für Radiologie (MTR) hat er schon in der Tasche. Technik interessiert
ihn, und er möchte gern anderen Menschen helfen. Aber wenn es nach der Zentralen
Ausländerbehörde in Gießen geht, wird daraus nichts. Sie will Sidat unbedingt so schnell
wie möglich loswerden. Damit befolgt sie die politische Leitlinie ihres Chefs, des hessischen
Innenministers Roman Poseck.


Die Fluchtgeschichte
Eigentlich kommt Sidat aus dem Irak. Als Minderjähriger ist er mit seiner Familie über Rumänien
nach Deutschland geflüchtet. In Rumänien wurde die Familie registriert. Was Abschiebung
ist, weiß er. Im Jahr 2018 kam nachts die Polizei und schob die Familie wieder
nach Rumänien ab. Dort wurden Eltern und Kinder getrennt. Sidat, seine Schwester Sidra
und ihre jüngeren Geschwister kamen in ein Kinderheim. Der Alltag war von Schlägen und
Hunger gekennzeichnet. Inzwischen ist die Familie wieder in Deutschland und lebt in
Stadtallendorf. Als Flüchtlinge sind sie hier aber noch nicht akzeptiert. Trotz der entwürdigenden
Behandlung sollen sie erneut nach Rumänien. In einem Film, der an der Georg-
Büchner-Schule in Stadtallendorf gedreht wurde, erzählen Sidra und andere Jugendlichen
ihre Fluchtgeschichten. Auch die Oberhessische Presse hat über den Fall berichtet. Sidras
Geschichte ist auch die ihres Bruders Sidat.


Rassistische Vorurteile passen nicht
Gängige rassistische Vorurteile passen nicht auf Sidat und seine Geschwister. Mit Randale,
Gewalt, Terrorismus und Intoleranz haben sie nichts zu tun. Wenn Lehrer:innen, Sozialarbeiter:
innen und Mitschüler:innen über sie sprechen, fallen im Gegenteil Begriffe wie
Leistungsbereitschaft, hervorragende Deutschkenntnisse sowie solidarischer Umgang mit
anderen Geflüchteten und Deutschen. Diese Einschätzungen kommen auch in den Schulnoten
zum Ausdruck. Den anspruchsvollen Ausbildungsplatz als Medizinischer Technologe
für Radiologie hat Sidat ja auch nicht umsonst bekommen.


Botschaft der Hessischen Landesregierung: Leistung lohnt sich nicht
Seit einem Jahr müssen wir in Mittelhessen erleben, wie leistungsbereite junge Menschen
regelrecht verfolgt werden. Ab dem Tag der Volljährigkeit wird es kritisch. Dann fragen
Zentrale Ausländerbehörde und Innenministerium nur noch danach, ob die Jugendlichen
mit Pass und Visum eingereist sind. Integration, schulische Leistungen, sportliche Erfolge
und gesellschaftlich relevante Berufsperspektiven spielen keine Rolle mehr. Gegen jede
Vernunft wird Abschiebung zum Staatsziel. Sidat ist neu auf der Abschiebeliste. Die Marburger
Amateurboxer Yayah und Abdelkader, deutscher Vizemeister in der Altersklasse U22, gehören genauso dazu wie der Maler und Lackierer Serhat trotz Deutschem Sprachdiplom
und Ausbildungsvertrag, die klassenbeste Realschulabsolventin mit gymnasialer Eignung
Darya aus Stadtallendorf und die angehende Pflegehelferin Aysu aus Linden bei Gießen.


Zivilgesellschaft und Kommunalpolitik kontra Abschiebewahn
Seit einem Jahr entwickelt sich aber auch Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Die Forderung
„Ausbilden statt Abschieben“ hat in diesem und im letzten Jahr bei den Maikundgebungen
des DGB eine wichtige Rolle gespielt. Vor der AfD-Zentrale in Gönnern und vor
den Kaufmännischen Schulen in Marburg fanden gut besuchte Kundgebungen statt. Solidaritätserklärungen
kommen von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, den Kinder-
und Jugendparlamenten der Stadt Marburg und des Landkreises, Schülervertretungen
und Schulgemeinden, aus deren Mitte schon Abschiebungen stattgefunden haben.
Regionale Zeitungen, Radio, Hessenschau und soziale Medien haben ausführlich berichtet.
Nirgendwo ist die Haltung der Landesregierung auf Verständnis gestoßen. Weit mehr
als 100 Zuschauer:innen sahen den Film „Fluchtgeschichten“ mit betroffenen jungen
Flüchtlingen im Marburger Katholischen Regionalhaus KA.RE. Und obwohl die Regierungsparteien
des Bundes und Hessens auch im Kreistag und in den Stadtverordnetenversammlungen
von Marburg und Stadtallendorf eine dominierende Rolle spielen, haben
auch diese Gremien den Jugendlichen den Rücken gestärkt.


Vielleicht gelingt es ja, auf der Ausbildungsmesse im Marburger Cineplex am 22. bis
24. Mai „Ausbilden statt Abschieben“ zum Thema zu machen. Auf jeden Fall wird es
bei Aktivitäten zum Tag des Flüchtlings am 20. Juni aufgegriffen. Der Cölber Arbeitskreis
Flüchtlinge (CAF) lädt Betroffene und Interessierte herzlich ein, beim Vereinsjubiläum
am 21. Juni die Öffentlichkeit zu informieren.


Wie können wir Sidat, Sidra, Darya, Serhat, Abdelkader, Yaya, Aysu
und andere Betroffene wirksam unterstützen?
Vorschläge für Aktivitäten bitte an:
Cölber Arbeitskreis Flüchtlinge (CAF@email.de)
Seebrücke Marburg (marburg@seebruecke.org)