Marcel Lubnow, GEW aktiv Nr. 32
Foto: pixabay.com/de: Kasman
Um mehr Personal in Kindertagesstätten zu gewinnen, forderte der hessische Städte- und Gemeindebund im Februar letzten Jahres einen Bürokratieabbau inder Prüfung für Erzieher:innen. Am 25.06.2024 unterzeichneten 26 Bürgermeister:innen aus dem Main-Kinzig-Kreis einen offenen Brief an die Landesregierung, indem gefordert wurde, die Zugangsberechtigungen für die Praxisintegrierte vergütete Ausbildung (PivA) zu verringern und die Verantwortlichkeiten derFachkräfte zur Mitarbeit bis hin zur Leitung von Kindergruppen zu erhöhen.
Die Idee, für mehr Personal in Kitas zu werben, ist grundsätzlich nicht falsch. In Zeiten des Strukturwandelsund Fachkräftemangels ist es begrüßenswert, wenn dem entgegengewirkt wird. Die Forderungen der hessischen Kommunensind wahrscheinlich kurzfristig auch eine Lösung, das Betreuungsangebot nicht zu reduzieren.Doch mittel- und langfristig wird es dazu führen,dass immer mehr Kinder seltener von qualifizierten Fachkräften betreut werden. Folglich können dieseForderungen, falls der Trend sich in diese Richtung weiterentwickelt, zu einer De-Professionalisierung des Erzieher:innenberufs führen! Diesgeht auf Kosten der Qualität der frühkindlichen Bildung und Erziehung. Kinder haben ein Recht darauf, nicht nur betreut zu werden, sondern auch auf qualitativhochwertige Bildung und Erziehung! Es ist unser Auftrag, das in den Kindertagesstätten zu gewährleisten.
Schon jetzt erleben wir in den Kitas die Auswirkungen des Fachkräftemangels und der Dequalifizierung der Sozialpädagogik. Erstens sind Kitas mit einerhohen Fachkräftequote rückläufig. Während in Hessen 2017 noch 47 % der Kitas eine hohe Fachkräftequote aufwiesen, waren es 2023 nur noch 36 %. Diesbedeutet einen Rückgang von 11 Prozentpunkten innerhalb weniger Jahre. Bundesweit lag derRückgang bei 9 Prozentpunkten.
Weiter stieg die Zahl derjenigen Kitas, welche schlechtere Fachkraftquoten haben, wie aus dem aktuellen „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“der Bertelsmann-Stiftung zu entnehmen ist. Die hohe Belastung kann zukünftig dazu führen, dass mehr Erzieher:innen ihreStunden reduzieren und in Teilzeit arbeiten. Viele Beschäftigte in Kindertagesstätten schätzen die Wahrscheinlichkeit als sehr hoch ein, ihr Berufsfeld kurz- bismittelfristig zu verlassen. Das bedeutet, dass die Fachkräftequote aufgrund der gegenwärtigen Bedingungen zukünftig kontinuierlich niedriger wird.Zweitens steigt der Krankenstand in Kindertagesstätten konstant. Während dieser 2013 bundesweit bei 5,8 % lag, war er 2023 schon bei 8,6 %. Im Schnittfehlten 2023 täglich 8,6 von 100 Beschäftigten. Die meisten Diagnosen seien Atemwegserkrankungen, welche vor allem in der Winterzeit auftreten. Des Weiteren erhöhten sich psychische Erkrankungen im Zeitraum zwischen 2009 bis 2023 um 100 %.Drittens nehmen Meldungen von Fällen der Kindeswohlgefährdung in Kindertagesstätten zu. Darunter zählen die Verletzung der Aufsichtspflicht sowieseelische und körperliche Gewalt. Die Fälle der Aufsichtspflichtverletzungen seien vor allem auf den Personalmangel und die Unterbesetzung zurückzu-führen. Da der Personalmangel zu mehr Stress führt, erhöht es gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit auf grenzverletzendes Verhalten. Weniger Professionalitäterhöht tendenziell ebenfalls die Möglichkeit, überfordert zu werden und eher Grenzen zu verletzen oder dies bei Kolleg:innen nicht wahrzunehmen und zu do-kumentieren.
Schließlich ist aus den genannten Punkten zu entnehmen, dass kurzfristige Lösungen lediglich dazu führen, dass das Betreuungsangebotaufrecht erhalten bleibt. Allerdings wird dies nicht dazu führen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Das Gegenteilkönnte der Fall sein! Aufgrund der Mehrbelastung, den hohen Krankenständen und der tendenziell steigenden Kindeswohlgefährdungen, wird die Fach-kräftequote weiter sinken.
Daher ist es jetzt Zeit für gute Arbeitsbedingungen!Es ist Zeit für eine gute pädagogische Ausbildung! Es ist höchste Zeit, die Kinderrechte in den Blick zu nehmen, damit Kindertagesstätten keinAufbewahrungsort werden, sondern ein Ort der Erziehung und Bildung, ein Ort der Kreativität und Entwicklung bleiben!
Marcel Lubnow, März 2025